Phoenix von Erdmannhausen
erstellt am 14. Dezember 2021
Fast blind und abgeschrieben: Über verschlungene Wege findet Thomas Bauschert zu seiner beruflichen Bestimmung. Heute arbeitet der Erdmannhäuser als Masseur und Heilpraktiker.
Von Ingo Nicolay, Artikel aus der Marbacher Zeitung vom 06.12.2021, Foto: Werner Kuhnle
Früher hat Thomas Bauschert noch Hell und Dunkel gesehen. Seit etwa acht Jahren ist er vollkommen erblindet. Sein Einstieg ins Berufsleben war oft demütigend. „Solch blöde Menschen wie Dich brauchen wir hier nicht”, ist jetzt nicht gerade ein Satz, der junge Menschen das Rüstzeug und das notwendige Selbstbewusstsein für den Berufsstart bei ihrer Ausbildung mitgibt. Daher wurde Thomas Bauschert, der inzwischen 59 Jahre ist, zunächst in eine Ausbildung zum Metallwerker gesteckt.
Doch einer wie Bauschert gibt nicht auf. Bis ihm die zweite Ausbildung zum Masseur genehmigt wurde, war das ein langer Kampf gegen die Windmühlen der Verwaltung. Über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kommt er auf eine Sozialstation und mit vielen Menschen in Kontakt. Schon früh wurde ihm dabei klar: „Ich will mit Menschen arbeiten.” Doch auch das ist zu Beginn nicht von Erfolg gekrönt. Kaum hat er seine eigene Massagepraxis eröffnet, beschneidet die damalige Gesundheitsreform den jungen Masseur existenzbedrohend.
Andere würden an so vielen Rückschlägen zerbrechen. Nicht so jedoch Bauschert: Je mehr er mit der Gesundheitsarbeit nah am Menschen in Berührung kam, desto stärker wurde sein Wille. Und desto klarer wurde ihm sein Weg, der noch vor ihm lag. Über viele physiotherapeutische Zusatzausbildungen wuchs sein Wissen — und mit ihm sein Selbstbewusstsein.
Seine spätere Ausbildung zum Heilpraktiker hat er sich mit juristischer Hilfe erstritten. Schon im normalen Studiengang ist das keine leichte Aufgabe. Noch um ein Vielfaches anstrengender wird es, wenn einem zuvor alle Lernunterlagen in die Brailleschrift für Blinde übersetzt werden müssen. Rückblickend fragt er sich heute manchmal: „Wie habe ich das alles geschafft?” Und als ob das nicht alles schon herausfordernd genug wäre, muss er für jede amtliche Unterstützung als blinder Mensch Papierberge an Formularen ausfüllen und beantragen.
Thomas Bauschert ist nicht alleine, wichtige Partner unterstützen ihn. In enger Zusammenarbeit mit einem orthopädischen Schuhmachermeister und einem Kieferspezialisten erarbeiten die drei für ihre Patienten gemeinsame Lösungen, bei der jeder von ihnen alleine nicht so viel für die Patienten bewirken könnte.
„Meinen Praxisnamen Phoenix habe ich nicht umsonst gewählt.”
Thomas Bauschert, Heilpraktiker
Heute ist Thomas Bauschert im Zentrum seiner Berufung angekommen, immer noch unglaublich wissbegierig, und möchte trotz seiner zwischenzeitlich 59 Jahre so lange wie möglich weiterarbeiten. Noch immer ist sein Alltag nicht alltäglich, immer wieder gilt es aufs neue Herausforderungen zu meistern. Doch das hat den blinden Gesundheitsspezialisten, der täglich von seinem Wohnort Erdmannhausen in die Praxis nach Marbach läuft, ja noch nie abgeschreckt.
Inzwischen kümmert sich Bauschert nicht nur um den Körper oder einzelne Körperteile seiner Patienten, sondern auch um deren Seele und Geist. Dabei kommt vieles zum Vorschein, was sich später oft in handfesten körperlichen Erkrankungen niederschlagen könnte.
Dass er nicht mehr in ein enges 20-Minuten-Behandlungskonzept gepresst wird, ist ihm eine unglaubliche Freiheit: „Wie sollte ich dabei den gesundheitlichen Beschwerden der Menschen auf den Grund gehen?”, fragt der feinfühlige Therapeut rhetorisch.
Mit viel Fleiß und Hingabe hat er sich in den letzten Jahren in eine Hypnoseform eingearbeitet, die er als „eine psychodynamische Hypnose” bezeichnet. Gewiss, das sei nicht einfach, weil das Wort Hypnose über Jahrmärkte oder andere Events stark und meist negativ belastet ist. Doch die in den Behandlungen erarbeiteten Leitsätze gäben seinen Patienten wieder einen Kompass für ihr Leben. Dafür kommen die Patienten dann aus nah und fern: „Viele kommen von weit her zu mir”, sagt er, der seine Therapieform als „ganzheitlich” bezeichnet. Und vieles davon bezahlen die Patienten aus eigener Tasche weil nur ein Teil wird von der Krankenkasse übernommen wird.
Im Frühjahr wird Thomas Bauschert 60 Jahre alt. Seine eigene Praxis wird dann halb so alt. Unterstützt wird er seit vielen Jahren von seiner „Praxisfee”, wie er seine Mitarbeiterin bezeichnet. Zu zweit wären sie ein unschlagbares Team und jeder habe vom anderen schon viel gelernt.
Seine Integrationsberaterin jedenfalls freue sich immer, wie sinnvoll bei ihm Fördermaßnahmen für blinde Menschen in Praxiserfolg umgesetzt würde. „Meinen Praxisnamen Phoenix habe ich nicht umsonst gewählt”, denn: „Ich haben meinen Weg nie verlassen.” Als behindert sieht sich Thomas Bauschert keinesfalls, eher als jemand, der seinem Weg konsequent gegangen ist. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er feststellt: „Ich habe mich durch meine berufliche Arbeit nicht nur rehabilitiert, sondern auch integriert.”